Dankesrede von Parvin Ardalan
anlässlich der Verleihung des Olof
Palme Preises 2007
Sonntag 9. März 2008
Sehr geehrte Damen und Herren! Guten Tag.
Ich bin sehr glücklich und geehrt, dass ich von der unabhängigen und renommierten Olof-Palme-Stiftung ausgewählt worden bin, den Olof-Palme-Preis zu erhalten. Dieser Preis ist mir im Namen einer Persönlichkeit überreicht worden, die für Gerechtigkeit, Frieden und Freundschaft gelebt und dafür mit ihrem Leben bezahlt hat. Daher ist mir sehr bewußt, dass ich nun eine noch größere Verantwortung trage. Ich bin davon überzeugt, dass die Preisverleihung an mich nicht nur im Sinne der Ehrung der individuellen Kämpfe der iranischen Frauen ist, ja, viel mehr ist dies eine Ehrung für die gemeinschaftlichen Aktivitäten der sich für Gerechtigkeit einsetzenden Frauenbewegung und der anderen sozialen Bewegungen. Dieser Preis zeigt sehr gut, dass die Bemühungen derjenigen, die Gerechtigkeit und Gleichberechtigung im Iran verteidigen, sehr effektiv waren, trotz aller Höhen und Tiefen, der Sackgassen und frauenfeindlichen Steine, die ihnen in den Weg gelegt wurden. Ja! Unsere Gerechtigkeit fordernde Stimme hat heute die ganze Welt erreicht. Zudem bin ich mir aber auch sehr bewußt darüber, dass mit diesem Preis der Druck und die Beschuldigungen gegen mich zunehmen werden. Ich überreiche diesen Preis allen iranischen Frauen, meiner Mutter, der Mütter der in den Kerkern sitzenden Gefangenen, und allen anderen Müttern meiner Heimat, die uns gelehrt haben, wie wir leiden, aber auch wie wir gegen die Diskriminierung Widerstand leisten, damit wir unseren Kindern und den künftigen Generationen beibringen, wie sie protestieren müssen.
Es war mein Wunsch bei Euch zu sein, an diesem großen Tag, der gleichzeitig der hundertste Jahrestag des Weltfrauentages ist, an diesem Tag, der an die Gerechtigkeit fordernden Kämpfe der Frauen weltweit erinnert. Aber im letzten Moment bekam ich kurz vor dem Abflug ein Ausreiseverbot von der Staatsanwaltschaft, so dass ich nicht an diesem Ereignis teilnehmen kann. Dieser Fall ist aber nicht allzu fremd, denn in meiner Region Frau sein und zudem nach Gerechtigkeit zu rufen, bedeutet gleichzeitig permanenter Kampf und Isolation. Ich bin stolz, dass ich eine säkulare Frau bin und einer feministischen Bewegung angehöre, die auf eine Geschichte des hundertjährigen Kampfes und Widerstandes für die Realisierung der Frauenrechte zurückblickt. Seit mehr als 100 Jahren kämpfen auch wir, gemeinsam mit unseren Schwestern weltweit für die elementarsten Rechte, wie die freie Wahl im privaten und gesellschaftlichen Leben, sowie das Recht über unsere Kleidung zu bestimmen. Aber jedes Mal sind wir Opfer der Politik ideologischer Regierungen geworden. Besonders in den drei Jahrzehnten seit der „islamischen" Revolution wurden viele der Errungenschaften der Frauen, die vor uns gekämpft haben, dieser Politik geopfert: Gesetze wie das Familiengesetz, wurden aufgehoben. Ebenso wurde das Recht auf freie Wahl der Bekleidung aufgehoben und die Zwangsvorschriften für die Bekleidung wurden eingeführt und gesetzlich durchgesetzt.
Nun sind es mehr als drei Jahrzehnte, in denen wir uns bemüht haben, gleiche Ehe- und Scheidungsrechte zu erlangen. Wir haben betont, dass das Recht der Männer auf mehrere Frauen, eine mehrfache Beleidigung der Frauen ist. Aber dieses Männergesetz wird weiterhin aufrecht erhalten. Seit Jahren fragen wir, warum nach einem Ereignis oder Unfall, Frauen ein anderes Wiedergutmachungsgeld erhalten als Männer und warum das Blutgeld der Frauen halb so viel wert ist wie das der Männer. Wir fragen, warum in unseren Gesetzen „Mann sein" als menschlicher Maßstab gezählt wird und wir nur halb so viel Wert sind und manchmal noch weniger zählen.
Wir sagen, dass der hohe Prozentsatz der studierenden Frauen und ihre alltäglichen Bemühungen in den gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Sphären präsent zu sein, doch der beste Beweis dafür ist, dass die gesellschaftliche Kultur weiter ist als das Gesetz. Dies zeigt auch, dass Gesetze nicht der Kultur hinterher hinken dürfen. Wir fragen uns stets, wenn der Iran der internationalen Konvention für bürgerliche und politische Rechte und internationalen wirtschaftlichen Konventionen beigetreten ist, dann müssten diese Konventionen umgesetzt werden. Warum fühlt man sich nicht daran gebunden? Wir fragen, wenn gemäß dieser Konventionen jede Form der Diskriminierung, wie die geschlechtsspezifischen Formen, verboten sind, warum ist unsere Gesetzgebung nicht daran gebunden? Beispielsweise, warum werden die Studienplätze nach geschlechtsspezifischem Anteil vergeben?
Seit Jahren sagen wir, dass das Alter der Strafmündigkeit für Mädchen höher gesetzt werden muss. Aber nach wie vor behandelt man Mädchen mit 9 und Jungen mit 15, die straffällig geworden sind, wie Erwachsene. Und die einzige Milderung ist, dass die Exekution des Todesurteils erst mit 18 erfolgt. Wir sind gegen die Todesstrafe und fragen, warum der Iran der Hinrichtung der „erwachsen gewordenen Kinder" kein Ende setzt?
Seit Jahren bekommen iranische Frauen große Probleme, weil sie mit afghanischen oder irakischen Männer verheiratet sind. Gemäß der herrschenden Gesetze sind die Kinder einer iranischen Frau in diesen Fälle keine Iraner. Wir fragen warum?
Seit Jahren fordern wir ein Ende der Steinigung und der Ehrenmorde in einer Gesellschaft, in der die Gesetze auf der Grundlage von frauenfeindlichen Traditionen beruhen. Ehrenmorde und Steinigungen fordern weiterhin Opfer. Aber heute sind diese Verbrechen nicht mehr ein Teil der Kultur und der Tradition der Gesellschaft, sondern sie sind ein Zeichen der Gewalt, die im Schatten der Gesetzgebung täglich brutaler und mächtiger wird.
Gegenwärtig werden viele Mädchen und Jungen auf den Straßen und auf den öffentlichen Plätzen der Stadt wegen der Art ihrer Bekleidung durch die Polizei unter dem Vorwand der sozialen Sicherheit getadelt und verhaftet.
Die sozialen Bewegungen in Iran, wie z.B. die Studenten-, Arbeiter- und Lehrerbewegung, fordern Freiheit und Gerechtigkeit Aber gegenwärtig sind viele der Aktivisten dieser Bewegungen im Gefängnis. Täglich werden diese Bewegungen unterdrückt, ihre Zusammenarbeit wird verhindert.
Wir Aktivisten der Frauenbewegung demonstrieren mit unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Methoden, die Rolle und die Auswirkungen der diskriminierenden Gesetze auf unser Leben. Wir kritisieren und protestieren gegen gewalttätige Gesetze und fordern ihre Änderung. Dafür verurteilt uns die Herrschaft, wegen Maßnahmen gegen die nationale Sicherheit und Propaganda gegen das System.
Wenn wir zivilgesellschaftlichen Aktivisten und Frauenrechtler und Bürger dieser Gesellschaft die nationale Sicherheit und die soziale Sicherheit gefährden, wer sind dann die Beschützer der zivilgesellschaftlichen Sicherheit unserer Gesellschaft? Auf diese Frage antwortet uns niemand.
Trotz des Drucks, der auf uns lastet, bemühen wir uns, unsere Ziele zu erreichen und den Kampf zur Erreichung unserer Menschenrechtsforderungen fortzusetzen. Wir bemühen uns, die Erfahrungen unserer Vorgänger zu analysieren und dabei unser historisches Gedächtnis zu bewahren. Wir sind bemüht, von den Erfahrungen der Kämpfe der früheren Feministen aus dem Iran und der übrigen Welt zu profitieren. Wir lernen von ihren Errungenschaften und von ihren Niederlagen. Wir lernen von den theoretischen Kenntnissen unserer Feministen im Ausland und im Exil. So bereichern wir unsere täglichen praktischen Erfahrungen, so dass nicht nur unsere Einsichten reichhaltiger werden, sondern auch unsere Kapazitäten bei der Aufnahme von unterschiedlichen Stimmen und Meinungen größer werden. Wir haben uns also stets bemüht, originelle Methoden anzuwenden, um die Arena für die Gerechtigkeit fordernden Kämpfe der Frauen zu erweitern, um die Ungleichheit in der Gesetzgebung aufzuheben.
Wir sind bemüht, von den Erfahrungen unserer Schwestern in den Nachbarstaaten unserer Region zu lernen und mit ihnen in den Informationsaustausch zu treten, um unsere Erfahrungen auszutauschen. Ein solcher Schritt wird die Macht der Frauenbewegung in der Region und weltweit stärken. Dadurch werden auch die inländischen Frauenbewegungen unter den Schutz der internationalen Frauennetzwerke gelangen und dies wird zum Wachstum der Bewegungen beitragen. Die Kampagne ‚Eine Million Unterschriften zur Abschaffung der diskriminierenden Gesetze’ gehört zu den kreativen Methoden der iranischen Frauenbewegung, die auf die Aktivitäten unserer Schwestern in Marokko zurückgeht. Die Bewegung, die sie dort mit Unterstützung ihrer Regierung für eine Änderung der Gesetze durchgesetzt haben, versuchen wir von unten mit Hilfe von Unterschriftensammlungn und Vier-Augen-Gespräche mit Männern und Frauen durchzuführen, damit unsere gesetzlichen Forderungen einen allgemeinen Charakter gewinnen. Wenn dann eine Million Unterschriften bei den gesetzgebenden Institutionen eingereicht werden, wird der Kampf zur Änderung der geschlechtsspezifischen Diskriminierung erweitert werden.
Es sind 1,5 Jahre vergangen seit dem diese Bewegung begonnen hat. Wir haben bis heute zwar nicht erreicht, die Gesetze zu ändern, aber wir haben es geschafft, das Bewußtsein [der Menschen] zu erweitern, kreative und demokratische Diskussionen zu entwickeln, den Diskurs der Gleichberechtigung in den verschiedenen Schichten der Gesellschaft und sogar in verschiedenen Institutionen der Macht zu thematisieren und sie zu zwingen zu reagieren und zu antworten. Wir haben uns in diesem Prozess bemüht die Zivilgesellschaft zu demokratisieren, denn wir sind davon überzeugt, dass die Berücksichtigung der Frauenrechte eine Voraussetzung für die Demokratie ist. Die Probleme der Frauen dürfen nicht als eine nebensächliche Randerscheinung betrachtet werden und dabei dem Kampf der Forderungen nach demokratischen Rechten geopfert werden. Wir sind der festen Überzeugung, dass der demokratische Weg über den Weg der Realisierung der Frauenrechte geht.
Die Kampagne ‚Eine Million Unterschriften’ mit ihren spezifischen und objektiven Forderungen, mit ihrer friedlichen Methode, d.h. mit der Methode der Unterschriftensammlung, mit dem hohen Preis, den die Aktivisten dieser Bewegung zahlen und mit der Hilfe deren Anwälte, die unentgeltlich die Aktivisten verteidigen, ist weltweit bekannt geworden. Bisher sind mehr als 50 der Aktivisten dieser Kampagne verhaftet worden oder sie befinden sich in Gerichtsverfahren oder sind in Gefahr verhaftet zu werden. Es sind meist junge Männer und Frauen in Teheran und in anderen Provinzen, die Gleichheit fordern, die bei der Sammlung von Unterschriften in U-Bahnen und in Parkanlagen und auf anderen öffentlichen Plätzen, wo sich Frauen versammeln, verhaftet werden, oder während der Durchführung von Arbeitsgruppen, in denen Frauenrechte gelehrt werden, oder bei Schreibaktivitäten und der Erstellung von Websites, die zur Kampagne ‚Eine Million Unterschriften – Wandel für Gleichberechtigung’ gehören. Gegenwärtig sind noch zwei Aktivistinnen dieser Kampagne im Gefängnis.
In dieser Bewegung sind auch die Mütter der Aktivisten aktiv geworden, um ihre verhafteten Kinder zu unterstützen. Sie wollen ihre Lage und ihre Forderungen verstehen, um ihnen im zivilgesellschaftlichen Widerstand beizustehen und sie zu unterstützen. Der Eintritt der Mütter und der Väter und anderer Familienangehöriger in emanzipatorische und friedliche Bewegungen, wird das Spektrum dieser Bewegungen erweitern und die Verbindungen zwischen ihnen stärken. Gegenwärtig sind viele der Aktivisten der Studenten- und der Arbeiterbewegung immer noch in Haft, während ihre Verwandten zu aktiven Teilen dieser Bewegungen zählen.
Heute hat die Parole der Kampagne „Wandel für Gleichberechtigung" mit Hilfe der inländischen Aktivisten, aber auch dank der Hilfe der internationalen feministischen Netzwerke und von Menschenrechtsaktivisten, der nicht-iranischen Aktivisten, alle geographischen Grenzen überschritten. Die signifikante Aktivität von Einzelpersonen der Frauenbewegung im Iran und die Widerspiegelung ihrer Forderungen und Kämpfe in internationalen Gremien ist lobenswert. Wahrlich können wir sagen, dass wir iranische Frauen objektive und spürbare politische Wahrheiten benannt haben und dabei unsere Prioritäten und Forderungen formulierten, die wiederum von Aktivisten und Menschenrechtsinstitutionen weltweit unterstützt und weiterverbreitet wurden. In Wirklichkeit hängt die Fortsetzung unserer Bewegung von den Kämpfen der Gerechtigkeit fordernden Gruppen im Iran und weltweit ab.
Die emanzipatorische Bewegung im Iran wächst dank dieser Verbindungen und aktiver gegenseitiger Zusammenarbeit. Dies wird uns immer mehr Macht geben. Und sicher wird auch die Feindseligkeit der frauenfeindlichen Kräfte und der Feinde der Gerechtigkeit gegen uns stärker werden. Aber warum sollen wir Angst haben? Wir glauben an die friedlichen Aktivitäten, die unseren zivilgesellschaftlichen Widerstand verstärkt haben. Und diese Wirklichkeit gibt uns permanent Kraft: Eine Kraft, die in unser alltägliches Leben fließt, Leben schafft, innovativ und spannend ist und uns Macht schenkt. Wir werden diese Kraft mit unserem Leben beschützen.
Danke
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