von Parisa Tonekaboni
Am Sonntagnachmittag des 8. März 2009 versammelten sich viele iranische und deutsche Frauen und Männer in Jugendzentrum Hu-Town (Bochum). Der deutsche Zweig der „Eine Million Unterschriften Kampagne“ für die Änderung der diskriminierenden Gesetze gegen Frauen im Iran hatte zu dieser Veranstaltung eingeladen.
Shaghayegh Kamali, die Moderatorin der Veranstaltung, begrüßte die Teilnehmerinnen und gratulierte insbesondere den Aktivistinnen der Kampagne im Iran. Sie trug ein Gedicht von der bekannten iranischen Dichterin, Forugh Farrokhzad (1935-1967) vor und erklärte, man könne nicht von der Frauenbewegung im Iran sprechen ohne Frauen wie Forugh Farrokhzad zu erwähnen, denn sie sei eine der Pioniere dieses Weges. Sie habe sich mit ihren weiblichen Gedichten, in denen sie ihre persönlichen Gefühle preisgab, gegen die damalige öffentliche Moral gestellt.
Frau Kamali stellte dann Margot von Renesse, Bundestagsabgeordnete von 1990 bis 2002, vor und gab ihr das Wort.
Frau Renesse begrüßte das Publikum und besonders die anwesenden „mutigen Männer“. Sie erzählte von ihrer zwölfjährigen Erfahrung mit den Debatten am 8. März im Bundestag. Sie sagte sie könne es verstehen, dass für viele Iranerinnen die Situation der Frauen in Deutschland paradiesisch scheine, aber das sei nicht schon immer so gewesen. Frau Renesse erzählte von ihrer Tochter, die ihr als Zwölfjährige die Frage stellte, warum Frauen auf der ganzen Welt benachteiligt werden. Sie sagte: „Versuchen Sie mal diese Frage zu beantworten!“ Sie erklärte der einzige Unterschied zwischen Männern und Frauen sei, dass die Frauen Kinder bekommen.
Frau Renesse zitierte das Gedicht „Am Turme“ der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Sie beendete ihre Rede mit den Worten: „Lassen wir nicht zu, dass die wunderbare Möglichkeit, die Mutternatur uns gegeben hat, gegen uns verwendet wird. Lassen wir uns das nicht bieten!“
Frau Kamali erinnerte an die Geschichte des Internationalen Frauentags, die Proteste und Demonstrationen der New Yorker Textilarbeiterinnen im Jahr 1857.
Sie stellte den deutschen Zweig der „Eine Million Unterschriften Kampagne“ vor, der seit einem Jahr in mehreren Städten unter anderem in Frankfurt, Düsseldorf, Münster und Bochum aktiv ist. Die Kampagne in Deutschland führe einen kritischen Dialog und Meinungsaustausch mit den Frauen im Iran, sagte Frau Kamali. Zu den Zielen der Aktivitäten in Deutschland zähle zuerst die Unterstützung der Frauenbewegung im Iran, die Bekanntmachung ihrer Aktivitäten in Deutschland, aber auch die Sensibilisierung der Gesellschaft und der internationalen Organisationen für das Thema. Es sei besonders wichtig für die Sicherheit der Aktivistinnen im Iran durch internationalen Druck auf die iranische Regierung zu sorgen, erklärte sie.
Der nächste Redner, Ali Tayefi, Soziologe, Forscher und Autor aus Schweden, sprach über die politischen und gesellschaftlichen Probleme der Frauen im Iran. Er erklärte den Begriff „Kreis des Lebens“ in sozialwissenschaftlicher Sicht. Der Kreis des Lebens beinhalte Geburt, Heirat, Scheidung und Tot. Bevor er auf die einzelnen Stationen einging, wies er auf einige Zahlen hin:Im Iran leben 34 Millionen Frauen, davon sind 13 Millionen jünger als 18, 20 Millionen über 18 und knapp 1,7 Millionen über 65 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der iranischen Frauen ist 28. Das Durchschnittsheiratsalter ist bei Frauen 23. (bei Männern 26)
Herr Tayefi erklärte, dass die Diskriminierung gegen Frauen bereits vor der Geburt beginne, denn die Eltern wünschten sich sogar schon vor der Schwangerschaft einen Jungen. Der Mann oder seine Familie suchten meistens einen Namen für das Kind aus.
Die Kinder begegneten schon bei der Einschulung der Geschlechtertrennung und die Mädchen sind dem Zwang der Verschleierung ausgesetzt, erklärte Herr Tayefi weiter. Mädchen ab 13 Jahren und Jungen ab 15 Jahren können laut Gesetz verheiratet werden. Es gäbe daher eine Million verheiratete Kinder im Iran, davon 750,000 Mädchen.
Herr Tayefi kritisierte, dass die Frauen außerhalb der iranischen Großstädte keine Möglichkeit hätten sich ihren Ehemann auszusuchen. Sie haben nur die Wahl zwischen den Bewerbern, die um ihre Hand angehalten haben. Die Morgengabe, Mahriye, die als Abfindung im Falle der Scheidung gedacht sei, funktioniere in der Praxis nicht als finanzielle Unterstützung. Der Mann könne nämlich die Scheidung solange verweigern bis die Frau auf die Morgengabe verzichtet und somit ihre „Freiheit“ erlangt. Zu den wichtigsten Problemen der Frauen nannte Herr Tayefi das Sorgerechtgesetz im Iran, welches den Müttern das Sorgerecht nur bis zum siebten Geburtstag ihres Kindes zuspricht.
Zu der vierten Station des Kreises sagte Herr Tayefi, die Diskriminierung gehe sogar nach dem Tod weiter, denn in vielen Fällen wird die Verstorbene bei der Todesanzeige nicht namentlich genannt, sondern als Frau oder Schwester eines Mannes vorgestellt.
Nach dem Vortrag Herrn Tayefis gab es eine kurze Pause. Danach wurde eine Onlineverbindung zu Parvin Ardalan nach Teheran hergestellt. Frau Ardalan, die eine der AktivistInnen der Eine Million Unterschriften Kampagne im Iran ist, hat 2008 den Olaf-Palme-Preis gewonnen. Da sie nicht ausreisen darf, sprach sie per Viedeoschaltung zum Publikum. Sie gratulierte zum 8. März, sagte aber, dass es schwer sei diesen Tag zu feiern, während einige Frauenaktivistinnen in Haft seien und andere auf ihre Prozesse warten. Sie bekräftigte aber, dass man über den Widerstand der Frauen gegen Ungerechtigkeit froh sein kann und rief dazu auf „den Schrei der iranischen Frauen nach Freiheit“ weiter zu verbreiten. Ihre kurze Rede hat das Publikum begeistert.
Für den musikalischen Teil der Veranstaltung war Shahin Najafi eingeladen worden. Der junge Musiker und Songwriter ist im letzen Jahr wegen seiner Rapsongs sehr bekannt und beliebt geworden. Er protestiert mit seinen Texten gegen die Zustände im Iran und kritisiert immer wieder die Ungerechtigkeiten, die den iranischen Frauen widerfahren sind.
Nach dem Auftritt von Shahin Najafi bekam Rezwan Moqadam das Wort. Sie ist eine der Begründerinnen der Kampagne im Iran. Im letzten Jahr wurde sie aufgrund ihrer Aktivitäten zu sechs Monaten Haft und zehn Peitschenhieben (auf Bewährung) verurteilt.
Frau Moqadam sprach über die Entstehungsgeschichte der Kampagne. Sie erinnerte zuerst daran, dass nach dem Sieg der Revolution im Iran (1979) die erste Diskriminierung gegen die Frauen der Befehl Ayatollah Khomeinis zur Verschleierung war. Die iranischen Frauen hatten es aber durch Proteste geschafft, das Gesetz für anderthalb Jahre zurückzudrängen. Dennoch sei damals jede Art von Protest als antirevolutionär abgestempelt worden, sagte Frau Moqadam. Unter den Umständen hatten Iranerinnen ihre eigenen Strategien entwickelt. Sie seien nun besser gebildet und haben ihre beruflichen Chancen verbessert. Nachdem die Frauen zwei Jahrzehnten den Weltfrauentag zuhause und im kleinen Kreis gefeiert hatten, sei nach der Wahl Khatamis zum Präsidenten eine neue Bewegung entstanden. Viele NGO’s sind von Frauen gegründet worden und Frauen sind wieder gesellschaftlich aktiver.
Frau Moqadam nannte die Vergabe des Friedensnobelpreises an Shirin Ebadi (2003) als ein großes Ereignis für die iranische Gesellschaft und insbesondere für die Frauen. Um den Empfang Frau Ebadis zu organisieren, hätten sich mehrere Organisationen versammelt. Aus dieser Versammlung sei ein Kreis entstanden, in dem die Vertreter von 40 NGO’s zusammenkamen. Dieser Kreis brachte Menschen unterschiedlicher politischer und persönlicher Überzeugungen zusammen, die aber ein Ziel hätten: Eine einheitliche Macht zu bilden, um die Lage der Frauen zu verbessern. Mit der Perspektive „Freiheit, Gleichheit und eine Gesellschaft ohne Diskriminierung und ohne Gewalt zu erreichen“ habe der Kreis entschieden einige Aktionen zu planen, erklärte Frau Mogadam. Da die Regierung gegen jede öffentliche Versammlung mit Gewalt vorging, suchte man nach Alternativen. So entstand die Idee zur Eine Million Unterschriften Kampagne. Als einen sehr wichtigen Punkt der Kampagne bezeichnete Frau Mogadam „die Aufklärung von Angesicht zur Angesicht“, bei der AktivistInnen die Frauen über ihre Rechte und die diskriminierende Gesetze informieren.
Am Ende stellten die TeilnehmerInnen ihre Fragen und diskutierten mit Herrn Tayefi und Frau Moqadam. Bei den Fragen ging es unter anderem um die Rolle der Kultur und der Religion bei der Diskriminierung der Frauen.
۳ نظر:
Irgendetwas stimmt leider mit den Bilder in diesem Artikel nicht. :(
مژگان جان عکسها باز نمی شه
افسون
Danke und herzlichen Glückwunsch zu eurer wertvollen Arbeit. Ich sitze derzeit täglich vor dem Computer und verfolge die Entwicklungen.
Tränen kommen mir dabei sehr schnell. Nicht nur aus Mitgefühl und Anteilnahme. Ich bin ergriffen, stolz und überwältigt von dieser Kraft. Werde in Berlin auf die Straßen gehen und trage meine Solidarität täglich nach Außen.
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