10. September 2009 Shirin Neshats „Women Without Men“ war ein Höhepunkt beim Festival in Venedig. Der Film erzählt die Geschichte von weiblichem Leid im Teheran des Jahres 1953. Die Parallelen zur aktuellen Lage in Iran überraschen die Künstlerin selbst.
Shirin Neshat, wie haben Sie die letzten Wochen verbracht? Sie haben ihren Film fertig geschnitten, zugleich kam es in ihrer Heimat Iran nach den manipulierten Wahlen zu heftigen Unruhen...
Wir sitzen hier an einem Tag im August. Mein Film spielt ebenfalls im August, im Jahr 1953, rund um den Staatsstreich gegen Mossadegh. Ich war nie ein besonders politisch aktiver Mensch. Ich habe den Iran ziemlich genau zu Beginn der islamischen Revolution verlassen. Ich begann damals, in den USA zu studieren. Meine Generation, viele meiner persönlichen Freunde waren seinerzeit Aktivisten. Demgegenüber war ich immer Außenseiterin. Und dann kam der Juni 2009. Natürlich haben wir iranischen Exilanten die Ereignisse um die Wahlen genau verfolgt. Wir waren alle ziemlich sicher: Mussawi würde gewinnen. Es gab eindeutige Nachrichten. Und dann lag in der Nacht plötzlich Ahmadineschad vorne. Es gab auch schnell Anzeichen für Betrug. Aus Aufregung wurde Ärger, Depression, und die kochte dann aber wieder hoch zu neuem Ärger und Wut. Mein soziales Leben wurde dann völlig von dem aufgesogen, was im Iran passierte.
Trügt der Eindruck, dass der Zusammenhalt unter den Exiliranern besonders eng ist, dass im Exil längst eine Art iranische Parallelgesellschaft entstanden ist?
Genau so ist es! Zumindest in New York, in Berlin und in Paris. Aber wir waren bisher ungemein gespalten: Pro Shah, anti-Shah, pro-Regierung, gegen, rechts-links -, ökonomisch in Reich und Arm, kulturell in Gebildete, Ungebildete, Künstler und Intellektuelle oder andere, religiöse und a-religiöse. Zum ersten Mal hatte ich nun den Eindruck: Wir sind ein Volk. Wir teilen eine Erfahrung miteinander. Plötzlich waren alle unsere Differenzen unwichtig geworden: Wir hatten ein Ziel. Kein Kampf um Ideologien, das war ein Kampf um die Freiheit an sich. Wichtig ist dabei natürlich auch, der amerikanischen Regierung keinen Vorwand zu liefern, um den Iran anzugreifen. Aber es geht auch um die internationale Öffentlichkeit. Um Druck für die Menschenrechte. Es geht um die Freiheit für politische Gefangene. Die systematischen Vergewaltigungen im Gefängnis sind die neueste Form der Folter.
Wie haben die Exil-Iraner in den Junitagen miteinander kommuniziert?
Facebook war sehr wichtig. Wir Exiliraner in New York sind alle auf Facebook. Es ist erstaunlich, was Technologie vermag: Etwas passierte im Iran und fünf Minuten später wussten wir in New York bereits davon, und informierten wiederum andere. Diese Clips und die Gewalt mit der die Regierung ihre eigene Bevölkerung niederhalten wollte, mobilisierte uns alle innerhalb weniger Tage. Es war eine so starke Erfahrung! Es bildeten sich ganz schnell Grasswurzel-Organisationen, in denen die alten Differenzen keine Rolle mehr spielten. Wir hatten ein gemeinsames Ziel, die Farbe Grün wurde zum Symbol. Der nächste Gedanke war: Wir müssen etwas tun. Wir müssen als Künstler unsere öffentliche Bekanntheit nutzen. Jeder, der öffentlich irgendeine Sichtbarkeit hat, muss gegen die Unsichtbarkeit ankämpfen. Wir organisierten einen Hungerstreik, wir gewannen Robert Redford und appellierten an viele Hollywood-Stars, uns zu helfen. Das alles bekam eine immense Intensität. Ich hätte mir nie in meinem Leben vorstellen können, dass ich zur Organisatorin eines Hungerstreiks werden würde. Aber das kam mir dann plötzlich gar nicht mehr seltsam vor, sondern sehr natürlich. Ich schämte mich wegen gar nichts mehr, meine Zurückhaltung hatte ich völlig aufgegeben. Es ging nicht um mich, es ging um mein Land. Als ob immer schon eine Aktivistin in mir geschlafen hätte, die jetzt erwacht ist. All das hat unglaubliche Bedeutung in unseren Leben bekommen. Ich hätte mir nie vorher vorstellen können, wie dieser Sommer werden würde. Wir hatten nichts, als Kunst und politischen Aktivismus. Das war eine wunderbare, fesselnde Erfahrung. Es hat uns alle verändert.
Zur gleichen Zeit haben Sie Ihren Film fertiggestellt. Worum geht es in „Women Without Men“?
Um vier Frauen im Iran. Und um ein politisches Schlüsselereignis. Ironischerweise muss man eigentlich nur das Bild von Mossadegh, seinerzeit der demokratische Führer, durch das von Mussawi ersetzen. Ich konnte nicht anders, als mich sehr stark mit der Mossadegh-Bewegung zu identifizieren. Wir kämpfen im Sommer 2009 für die gleichen Ziele wie im Sommer 1953. Eine erstaunliche, erschreckende Koinzidenz. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen.
Dieser Teufelskreis muss frustrierend sein...
Nicht nur. Die Wiederholung zeigt auch: Man kriegt uns nicht so leicht unter. Wenn unsere Herrscher ein bisschen cleverer wären, würden Sie begreifen, dass wir eigentlich nur unsere Ruhe wollen, Keine Revolution, sondern nur ein bisschen Freiheit. Aber das ist offenbar zu viel verlangt. Natürlich gibt es auch heute das Gefühl der Niederlage, nachdem die Regierung Gewalt einsetzte. Aber es ist offen, ob es sich wirklich um eine Niederlage handelt. Wir alle fühlen: Wir werden weiter kämpfen.
Der Film geht zurück auf Sharnush Parsipurs Roman „Women Without Men“...
Parsipur schrieb verschiedene Kurzgeschichten, die unabhängig voneinander bestehen. Im Zentrum steht jeweils eine Frau. Aber die Geschichten hängen alle miteinander zusammen. Der Verbindungspunkt ist ein Garten, in dem sich alle treffen, in den alle irgendwann hinkommen. Den hat Parsipur in dem Buch kombiniert.
Mir gefällt an dem Buch seine surreale Komponente: Der Garten ist ein Ort des Exils, der Flucht, er ist völlig zeitlos. Fast wie ein Garten Eden - ein Ort von Unschuld und Erkenntnis. Das Buch ist auch visuell sehr stark, es hat Poesie. Ich nahm alles aus dem Buch, was ich mochte und kombinierte es neu. Grundsätzlich habe ich das Politische etwas erweitert, und den Surrealismus, die Magie etwas reduziert. Das Buch ist durchzogen von produktiven Gegensätzen, die mich angezogen haben: Stadt-Land, Geschichte-Zeitlosigkeit, Natur-Kultur - das ist sehr konzeptionell, und ähnelt meiner bisherigen eigenen Arbeit. Die einzelnen Frauen sind sehr verschieden: Ein normales Mädchen, das heiraten will, eine westlich orientierte, eine religiös erzogene, eine Prostituierte. Mir war wichtig, dass sie nicht als Opfer dastehen, ich wollte, dass man auch ihren Mut sieht, die Freiheit, die sie sich nehmen.
Es muss eine merkwürdige, aber auch sehr schöne Erfahrung für Sie sein, wie nahe Sie selbst da plötzlich Ihren Figuren kommen...
Es ist unglaublich! Schauen Sie auf die Filmfigur Munez, eine politische Aktivistin. Im Film stirbt sie, und ich konnte es nicht glauben, als ich wieder die Bilder ihres sterbenden Körpers sah, wie sehr diese Bilder jenen von Neda Agha-Soltan glichen, die zur Ikone der Juni-Proteste wurde. Beide sind sich so ähnlich: Als Menschen, als Frauen, auch als schöne Frauen. Beide sind in gewissem Sinn naiv, beide kämpfen wie Jeanne d'Arc für soziale Gerechtigkeit, sie sind keine gebildeten Frauen. Aber sie sind erfüllt von einem ehrlichen ernsthaften Verlangen nach Veränderung. Beide werden zu Märthyrerinnen. Der Symbolismus meiner Charaktere - Munez steht für den Geist der Revolution - fand seine Entsprechung in der Wirklichkeit.
Die Idee des Feminismus in dieser „Grünen Bewegung“ ist sehr bemerkenswert: Wie präsent hier Frauen wurden! Mit großem Sinn für Schönheit, mit viel Stolz, auch mit Gewalt und Aggression gegen ihre Unterdrücker. Mit Lippenstift, Mascara, wunderschönen Haaren - aber auch einem Stein in der Hand. Es liegt eine Ironie in dieser neuen Repräsentation iranischer Frauen: Weiblichkeit, Fragilität und Emotionen.
Woran liegt es überhaupt, dass auch in der „Grünen Bewegung“ wie unter den iranischen Künstlern und Intellektuellen so auffallend viele Frauen hervorstechen?
Die, die mehr in die Enge getrieben werden, haben mehr Grund, zu handeln. Die Frauen im Iran - egal unter welchem Regime - haben immer schon gegen Autoritäten gekämpft. Und für Freiheit und Unabhängigkeit. Gegen Religion oder Tradition, die Kräfte der Unfreiheit. Sie mussten immer kämpfen. Im Kleinen zuhause mit ihren Ehemännern, Vätern und Brüdern, im Großen auf der Straße, in der Arbeit. Es ging immer um Grenzen und Beschränkungen, und mit Kleidervorschriften fing es immer nur an. Sie lernten, Kämpfer zu werden - durch die kulturelle, religiöse, politische Atmosphäre, in die wir hineingeboren wurden, kam das automatisch. Keine von uns hat es leicht. Aber wir haben gelernt, sehr stark zu sein.
Sehen Sie sich eigentlich als Feministin?
Nein. Ich bin nur von den iranischen Frauen weit mehr beeindruckt, als von den Männern dort. Es geht mir Sharnush Parsipur: Sie war mehrfach im Gefängnis, einmal für fünf Jahre. Sie wurde dort krank. Sie wurde getrennt von ihrem Sohn. Sie wurde ins Exil gezwungen. Aber sie ist eine Frau mit unglaublicher Würde. Eine Überlebenskünstlerin (a „Surviver“). Sie ist wundervoll: So unglaublich positiv. Oder Marjane Satrapi, die Autorin von „Persepolis“ - eine gute Freundin. Wie sie gemeinsam mit Makhmalbaf beim Europäischen Parlament gegen das Regime aufgetreten ist - das war so tapfer. Ich schätze sie so sehr. Solche Frauen inspirieren mich so sehr.
Sie sind eine bekannte und vielfach prämierte Videokünstlerin. Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie einen Spielfilm gedreht haben?
In meiner bisherigen künstlerischen Arbeit gab es schon immer eine enge Verbindung zwischen Poesie und Politik. Dadurch lag das Thema nahe. Ich bin der Kunstwelt ein bisschen müde geworden. Kino war für mich ein natürlicher Schritt, eine Weiterentwicklung meiner bisherigen Arbeit. Ich habe diesen Schritt von Anfang an sehr ernst genommen. Ich wusste: Ich müsste mir Zeit nehmen, und mich mit den richtigen Leuten zusammen tun. Der Arbeitsprozess war wie eine private Filmschule für mich. Nie habe ich so viel gelernt. Das Ergebnis ist ein richtiges Herzensprojekt geworden.
Hatten Sie es sich so vorgestellt, wie es dann wurde?
Niemals! So komplex hatte ich es mir nie vorstellen können. Es war ein wirklich langer Weg.
Was hatten Sie vor dieser ersten Film-Arbeit für eine Beziehung zum Kino? Sahen Sie sich überhaupt Filme an?
Mich interessiert das Kino als eigene Erfahrungsform. Als Erfahrung einer Gruppe. Kino ist eine der komplettesten Kunstformen: Mit dem Kino kann man malen, photographieren, Theater spielen, tanzen, Musik machen, Choreographieren… Ich hatte immer das Gefühl, die Arbeit, die ich sowieso schon in meinen Installationen mache, hier noch zu steigern und zu erweitern. Ich habe nie versucht, das konventionelle Kino einfach nachzuäffen. Julien Schnabel und Matthew Barney waren da sicher heimliche Vorbilder für mich. Ich wollte meine eigene Sprache finden, die Balance zwischen Erzählen und Bilder-machen, ich wollte auch die Herausforderung bestehen, dass mir ein Film gelingt, in dem auch meine Mutter sich nicht langweilen würde. Also Kunst zugänglich zu machen, nicht irgendetwas zu fabrizieren, dass nur exklusiv für sehr gebildete Leute verständlich sein würde. Und letztendlich glaubt die Aktivistin in mir auch an die Kraft der Gemeinschaft. Eliten und elitäre Kunst interessieren mich überhaupt nicht. Aber ich glaube natürlich auch an die Kraft der Kunst. Das heißt an die Kraft des Rätselhaften, der Phantasie, des Komplexen. Kunst darf es den Menschen nicht zu einfach machen. Es hat eine Bedeutung und soll sie auch haben. Bloße Unterhaltung wollte ich genauso wenig. Ich glaube diese Verbindung ist möglich, und in dieser Richtung möchte ich in Zukunft auch weitermachen, und mich in Richtung Popkultur bewegen. Mal sehen, ob ich das schaffe. Aber zumindest kann ich davon träumen. Wir Künstler sind am Ende alle Träumer. Und ich möchte noch ein bisschen weiterträumen.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.
Frauen ohne Männer
Ein klarer Favorit für den Goldenen Löwen: Die Videokünstlerin Shirin Neshat erzählt in „Zanan bedoone mardan“ (Frauen ohne Männer) vier Geschichten von weiblichem Leid im Teheran des Jahres 1953, als die CIA den Staatsstreich vorbereitete. Sie tut das in Bildern von bestechender Schönheit. Da ihr Kameramann Martin Gschlacht hier auch bei dem ähnlich beeindruckend fotografierten „Lourdes“ für die Bildgestaltung verantwortlich war, ist ein Preis für ihn eigentlich unausweichlich.
Eine betrogene Ehefrau, eine unglücklich Verliebte, eine Prostituierte und eine Selbstmörderin - schwarze Figuren in einer bleichen Erinnerungswelt, die in einem verwunschenen Garten zusammenfinden, der Dschungel und Wüste, Schutzraum und Resonanzboden zugleich ist. Auf Dauer gehen die Leidensgeschichten vielleicht etwas zu nahtlos in der Politparabel auf, und das allegorische Erzählen raubt den Figuren irgendwann die Luft, aber die Art, wie die sich immer wiederholende Geschichte von Widerstand und Unterdrückung in eine Form gegossen ist, hat selbst dann etwas Beeindruckendes, wenn man einen Preis für Claire Denis lieber sähe. (malt)
Bildmaterial: Aros, dpa
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